Der Dealer im Ausnahmezustand – Eigene Erfahrungen – Strategien zur Bewältigung

0

Bitte bleiben Sie nicht stehen! Es ist gar nichts passiert. Einfach weiter lesen und Ruhe bewahren. Wegen einem betrunkenen Dealer mit Gaspistole hole ich mir sicher keine blutige journalistische Nase. Bekanntermaßen verteidige und beschönige ich gelegentlich so manches, und entschuldigen tue ich sowieso noch viel mehr. Nicht nur in meinen Kolumnen, sondern auch im realen Leben da draußen. Kinder und Jugendliche mit einer Waffe zu erschrecken, ist einfach komplett unentschuldbar und dafür trete ich dann sicher nicht als ex offo Verteidiger an. Eine Kolumne werde ich trotzdem zu diesem Thema schreiben. Mir ist der Beschuldigte – für den selbstverständlich die Unschuldsvermutung gilt –  persönlich bekannt. Und ich hatte selbst schon mal, vor längerer Zeit, eine 357er Magnum vorm Bauch und weiß, wie scheiße sich das anfühlt. Andererseits kann ich nachvollziehen, unter welchem Druck und Stress Dealer in privaten Card Casinos stehen können. Sich dann sinnlos zu besaufen und vor Kindern als Scarface zu produzieren, rechtfertigt das selbstverständlich nicht. 

Man trifft und sieht sich halt in den diversen Wiener Kaffeehäusern der Nacht und besagter Daniel E. fiel mir da schon mehrmals als feuriger Genosse auf. Im Dienst smart, höflich und scheinbar völlig unbeeindruckt von all den halblaut vorgetragenen Flüchen und Verwünschungen. Scheinbar taub auf dem Ohr, wenn es darum halb ernst und ganz ernst gemeinte Beleidigungen zu überhören. Dass man da dünnhäutig und empfindlich wird, dass man da auch mal  – nach dem Dienst – die Nerven verliert, ist leider fast schon zu erwarten. Im Zusammenhang mit erlaubten und verbotenen Substanzen, kann dann schon mal mehr passieren, als passieren sollte. In gewisser Weise, mache ich mir in der konkreten Angelegenheit selbst einen eng gesteckten Vorwurf. Es gab nämlich bereits einmal einen Vorfall mit Daniel E., den man rückwirkend hätte viel ernster nehmen müssen. Nicht von strafrelevanter Bedeutung selbstverständlich, sonst würde ich das hier an dieser Stelle nicht so öffentlich beschreiben, aber nennen wir es diplomatisch, eine völlig unangemessene verbale Entgleisung und danach ein fast völlig leeres Lokal. Ausgerechnet an dem Abend war ich nicht dort, aber wohl weil ich der größte und schwerste aus der Runde bin, riefen mich noch in derselben Nacht mehrere der Gäste an und erzählten mir davon. Bei nächster Gelegenheit habe ich ihn dann angesprochen. Im Nachhinein betrachtet mit einer völlig unangemessenen oberflächlichen Bemerkung. Genau sind mir meine Worte nicht mehr erinnerlich. Sinngemäß etwa aus der Abteilung, er soll nicht vergessen in der nächsten Kirche zwei Kerzen zu spenden, dass ich in besagter Nacht nicht da war. – Aus heutiger Sicht und angesichts meiner Routine, hätte man schon diesen verbalen Kontrollverlust als verdeckten Hilferuf sehen müssen, ohne mich jetzt zu sehr als Hobbypsychologe aufspielen zu wollen. Ein besserer Gesprächsansatz von meiner Seite, mit dem Ratschlag doch therapeutische Hilfe anzunehmen, wäre sicher angemessen gewesen. Und ich hoffe ernsthaft für Daniel E., dass es bei dem zu erwartenden Verfahren  statt einer ernsthaften Strafe einen ernsthaften Ansatz für verpflichtende Inanspruchnahme von therapeutischer Hilfe geben wird. 

Soweit so milde und ausgewogen, aber keine Angst, ich mache mir sicher auch mit diesem Text noch meine Feinde. Und wie es meine Art ist, lege ich mich gleich mal mit den großen Casinos an. Am besten mit allen gleichzeitig. Nur muss ich dazu ein wenig ausholen. Kürzlich haben mich die Wirrungen des Schicksals und mein leichtfertiger Hang zur Hilfsbereitschaft an den Spieltisch gezwungen. Allerdings nicht auf die temporär bewährten Plätze 1 bis 10, sondern mein Platz war am Dealer-Sessel. An Gäste, die sich ärgern gewöhnt man sich schnell. An Gäste, die ihr scheinbares oder tatsächliches Kartenunglück am Dealer festmachen, gewöhnt man sich schon deutlich langsamer. Ich hatte an dem Tag einen Spieler, der hatte es sich in den Kopf gesetzt mich zu ärgern und auch das muss man wegstecken. Ein blonder mittelalter Mann. Nicht schön, nicht hässlich, offensichtlich von der Art und Weise nicht unvermögend und dem entsprechend der Hang zur Angeberei. Das alles würde mich als Dealer selbstverständlich nichts weiter angehen. Auf meine Bitte, die Karten nach einem Fold etwas näher zur Tischmitte zu legen, legte sie mein Problemgast von Platz Drei noch ein Stück weiter weg. Jedes Ante musste neu verhandelt werden, und wurde mir dann mit einer abfälligen Geste hingeschleudert, dass ich alle Mühe hatte sie zu fangen. Aus einem absurden Grund nannte er mich „Boy“, vielleicht hatte er in Mississippi Burning seine Vorbilder auf der falschen Seite gesucht oder so.  – Das Ganze steigerte sich noch im abschätzigen Gestus und irgendwann begann der Problemgast persönlich zu werden. Dieser sinnentleerte Singsang ins scheinbare Nichts: „Boy, weißt du wem du ähnlich siehst? Du weißt es natürlich nicht, aber ich weiß es. Du siehst aus wie der blonde Stalker aus „Verrückt nach Mary“. Der mit den grauslichen Pickeln, der der ihr immer hinterher läuft. Der keine Frau abbekommt. Der Blonde mit den Pickeln.  Der Perverse, der ihr die Schuhe stiehlt  – Ein Wahnsinn wie du dem ähnlich siehst.“

Drei Hände später habe ich Platz Drei aus dem Turnier gedealt. Runner, runner und fertig war der Bad Beat. An so eine stabile Erektion erinnere ich mich zuletzt, wie ich seinerzeit meinen ersten Theresa Orlowski Film sehen durfte. Der gedealte Bad Beat war quasi mein persönlicher Turniersieg. – Als ich dann Pause hatte, kam der Problemgast von hinten auf mich zu. „Boy. Du stehst jetzt auf meiner schwarzen Liste und wer einmal auf meiner schwarzen Liste steht, kommt da ganz schwer wieder runter.“ Ich bin dann aufgestanden, habe an meine Frau gedacht und daran wie unheimlich weh die eigenen Hände danach tun, wie hart Köpfe sind und wie das so sein würde mit meinen klausthrophobischen Tendenzen eingesperrt zu sein über Nacht in irgendeinem Vorstadtwachzimmer und habe gar nichts gemacht. Einfach nichts und habe mich mies gefühlt. Ich habe mich auch noch am nächsten Morgen mies gefühlt und ich spüre es heute noch irgendwie ganz weit hinten.  

Dealer sind unter unheimlichen Druck. Mich bringt so eine Nacht schon aus der Fassung. Deswegen gehören meiner Meinung Dealer viel besser geschützt und unterstützt. In der Angst sich mit wichtigen Gästen anzulegen, wird viel zu viel durchgelassen. Unregelmäßige Schlafenszeiten, überlange Schichten und ein oft frustrierend schlechter Verdienst. Früher gab es auch betrunkene Dealer, aber die wären in der goldenen Zeit niemals mit der Straßenbahn gefahren, und vom kampferprobten türkischen Taxifahrer hätte es wohl beim Ziehen einer ungeladenen Gaspistole ein paar Ohrfeigen gegeben. Man muss den Dealern auch helfen, weil sie es schließlich sind, die draußen an der Front den Betrieb am Laufen halten. Vielleicht könnte eines der beiden großen Card Casinos vorpreschen. Seminare zur Stressbewältigung anbieten, oder vierteljährlich auf freiwilliger Basis einen Workshop anbieten. Methoden zum Umgang mit innerer und äußerer Aggression. Sollte sich aus dem traurigen Anlassfall so etwas entwickeln, wäre das ganz sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Für den Fall, würden wir von Hochgepokert.com ganz sicher darüber berichten. Vielleicht schreibe ich mich auch selber ein. – Sicher ist sicher. Für mich und für die anderen. 

Götz Schrage

Hinterlasse eine Antwort

Please enter your comment!
Please enter your name here