
Im Hochsicherheitsgefängnis von Angola treffen Schwerverbrecher auf gereizte Bullen. Unter dem Jubel der Zuschauer brechen ihre Knochen beim Convict Poker.
Vier Sträflinge sitzen an einem roten Pokertisch. Sie tragen schwarz-weiß gestreifte Zuchthauskleidung. In den 1950er Jahren wurde sie abgeschafft, aber bei dieser Pokerrunde ist sie Pflicht. Gespielt wird eine spezielle Variante Sit&Go. Wer als letzter übrig bleibt gewinnt den Pot, der bekommt alles. Es geht um 50 US-Dollar. Ein kleiner, ein lausiger Betrag – im Gefängnis ein Vermögen.
Die Spieler haben ihre Plätze eingenommen. Alle wirken nervös und angespannt. Hier gibt es kein Limit, hier wird nicht geblufft. Karten und Chips sind bedeutungslos. Gleich geht es ums Ganze. Dann kommt der fünfte Mitspieler – ein 2000 Pfund schwerer Stier. Das bis aufs Blut gereizte Tier jagt mit gesenkten Hörnern auf den Tisch zu und kracht hinein. Stühle und drei Leiber fliegen durch die Luft. Nur ein Mann bleibt sitzen. Das Publikum johlt. Für den Sieger ein Augenblick des Ruhms.
Sie nennen es Convict Poker: Ein Spektakel ohne Erbarmen – hart, brutal und lebensgefährlich. Und einer der Höhepunkte beim alljährlichen „Angola Prison Rodeo“ im Staatsgefängnis von Louisiana. Für eine Handvoll Dollar riskieren die Gefangenen Leben und Gesundheit, wenn sie in der Arena der Strafanstalt gegen wilde Pferde und rasende Stiere antreten. Kaum einer hat Rodeo-Erfahrung und einen wirklichen Körperschutz gibt es nicht. Entsprechend lang ist am Ende des Spektakels die Liste der Verletzen. Schwere Prellungen, zerschmetterte Knochen, klaffende Wunden. Die Bilanz ist blutig, aber an einem Nachschub an Gladiatoren mangelt es nicht. Wer hier teilnimmt, der hat nichts mehr zu verlieren!

Über 5100 Häftlinge sitzen in Angola ein. 86 Prozent sind als Gewaltverbrecher verurteilt – Räuber, Mörder, Sexualverbrecher. 84 Männer und eine Frau warten im Oktober 2010 in der Todeszelle auf ihre Hinrichtung. Mehr als die Hälfte der Inhaftierten sitzt lebenslange Haftstrafen ab. Räuber sind durchschnittlich zu 91 Jahren verurteilt. Vier Fünftel der Häftlinge bekommt keinen Besuch. Jeder Dritte wird am Ende auf dem Gefängnisfriedhof begraben. Auch mancher Kleindealer bleibt bis zum Ende seiner Tage in Angola. Wer drei Mal für ein Drogenvergehen verurteilt wurde, der bekommt in Louisiana lebenslänglich. Dann besteht keine Aussicht mehr jemals wieder in Freiheit zu kommen. Ein Recht auf Bewährung kennt man in diesem Bundesstaat nicht. Lebenslänglich bedeutet in Louisiana: bis zum Tod! Man lebt und stirbt hinter Gittern und Stacheldrahtzäunen.

Vor Cain gaben Mord und Totschlag den Rhythmus vor. In den 1990er Jahren kam es im Durchschnitt zu 1347 Gewalttaten. 79 Menschen wurden pro Jahr umgebracht. Die Verhältnisse in Angola waren chaotisch und die ausufernde Gewalt verhalf zu trauriger Berühmtheit. Dann kam Burl Cain, und mit ihm seine ganz eigene Auffassung von Strafvollzug. „Man braucht erst ein Gefängnis, bevor man Sicherheit haben kann“, soll er gesagt haben. Aber auch, dass es „unsere größte Herausforderung ist, dort Hoffnung zu geben, wo Hoffnungslosigkeit herrscht“. Gemeint haben dürfte er, dass die Häftlinge Aufgaben und Ziele brauchen, um ihr Leben in Unfreiheit überhaupt meistern zu können. Die freie Marktwirtschaft schien dafür genau das richtige Mittel zu sein.

Die Liste der Geschäftsfelder ist lang: Ackerbau, Viehzucht, Fahrzeugbau, eine Kfz-Werkstatt, eine Druckerei, eine Metallfabrikation, eine Tischlerei und ein Golfplatz. Die Auslieferung der Waren liegt in den Händen der eigenen Spedition. Im Gefängnisshop und über das Internet werden Sonnenbrillen, Bücher, Sweatshirts, Poster, T-Shirts, Postkarten, Golfbälle, Bleistifte und Marmelade feilgeboten. The Angolite, das Knast-Magazin, wird für $20 im Abonnement innerhalb der USA ausgeliefert. Für $52 bekommt es der Leser an jeden Ort der Welt geschickt. Alles wird zu Geld gemacht. Ein Verkaufsschlager: die Barbecue Soße „Guts & Glory Hot Sauce“.

Das Rodeo ist wie selbstverständlich Teil des „Big Business“. Tausende Zuschauer pilgern jeden Sonntag im Herbst nach Angola, kaufen Fanartikel und zahlen Eintritt, um der Auseinandersetzung zwischen Mensch und Tier beizuwohnen. Für die Gefangenen eine Gelegenheit, um durch den kurzen Moment gefühlter Freiheit in der Arena ein wenig Anerkennung durch die Gesellschaft zu erhaschen.








