Convict Poker – Wilde Stiere gegen Mörder

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Im Hochsicherheitsgefängnis von Angola treffen Schwerverbrecher auf gereizte Bullen. Unter dem Jubel der Zuschauer brechen ihre Knochen beim Convict Poker.

Vier Sträflinge sitzen an einem roten Pokertisch. Sie tragen schwarz-weiß gestreifte Zuchthauskleidung. In den 1950er Jahren wurde sie abgeschafft, aber bei dieser Pokerrunde ist sie Pflicht. Gespielt wird eine spezielle Variante Sit&Go. Wer als letzter übrig bleibt gewinnt den Pot, der bekommt alles. Es geht um 50 US-Dollar. Ein kleiner, ein lausiger Betrag – im Gefängnis ein Vermögen.

Die Spieler haben ihre Plätze eingenommen. Alle wirken nervös und angespannt. Hier gibt es kein Limit, hier wird nicht geblufft. Karten und Chips sind bedeutungslos. Gleich geht es ums Ganze. Dann kommt der fünfte Mitspieler – ein 2000 Pfund schwerer Stier. Das bis aufs Blut gereizte Tier jagt mit gesenkten Hörnern auf den Tisch zu und kracht hinein. Stühle und drei Leiber fliegen durch die Luft. Nur ein Mann bleibt sitzen. Das Publikum johlt. Für den Sieger ein Augenblick des Ruhms.

Sie nennen es Convict Poker: Ein Spektakel ohne Erbarmen – hart, brutal und lebensgefährlich. Und einer der Höhepunkte beim alljährlichen „Angola Prison Rodeo“ im Staatsgefängnis von Louisiana. Für eine Handvoll Dollar riskieren die Gefangenen Leben und Gesundheit, wenn sie in der Arena der Strafanstalt gegen wilde Pferde und rasende Stiere antreten. Kaum einer hat Rodeo-Erfahrung und einen wirklichen Körperschutz gibt es nicht. Entsprechend lang ist am Ende des Spektakels die Liste der Verletzen. Schwere Prellungen, zerschmetterte Knochen, klaffende Wunden. Die Bilanz ist blutig, aber an einem Nachschub an Gladiatoren mangelt es nicht. Wer hier teilnimmt, der hat nichts mehr zu verlieren!

Angola, nach dem amerikanischen Bürgerkrieg auf einer ehemaligen Sklavenplantage errichtet, ist das größte und berüchtigste Hochsicherheitsgefängnis der USA. Das riesige Areal, kaum 200 Kilometer von New Orleans entfernt, umfasst 7.300 Hektar: Kartoffel- und Baumwollfelder, Zellenkomplexe, eine Kirche, ein Friedhof, ein Museum, die Arena. Der Mississippi fließt ganz in der Nähe.

Über 5100 Häftlinge sitzen in Angola ein. 86 Prozent sind als Gewaltverbrecher verurteilt – Räuber, Mörder, Sexualverbrecher. 84 Männer und eine Frau warten im Oktober 2010 in der Todeszelle auf ihre Hinrichtung. Mehr als die Hälfte der Inhaftierten sitzt lebenslange Haftstrafen ab. Räuber sind durchschnittlich zu 91 Jahren verurteilt. Vier Fünftel der Häftlinge bekommt keinen Besuch. Jeder Dritte wird am Ende auf dem Gefängnisfriedhof begraben. Auch mancher Kleindealer bleibt bis zum Ende seiner Tage in Angola. Wer drei Mal für ein Drogenvergehen verurteilt wurde, der bekommt in Louisiana lebenslänglich. Dann besteht keine Aussicht mehr jemals wieder in Freiheit zu kommen. Ein Recht auf Bewährung kennt man in diesem Bundesstaat nicht. Lebenslänglich bedeutet in Louisiana: bis zum Tod! Man lebt und stirbt hinter Gittern und Stacheldrahtzäunen.

Der Tagesablauf im Knast wird durch Arbeit bestimmt. Die meisten Gefangenen schuften auf den Feldern – für einen Stundenlohn von zwei Cent. Einige engagieren sich nebenher im Gefängnishospiz und begleiten tot kranke Häftlinge auf ihrem letzten Lebensweg. Wenige Strafgefangene erhalten das Privileg, sich zum Priester ausbilden zu lassen und als Seelsorger zu arbeiten. Religion spielt im Süden der USA eine wichtige Rolle. Im Handeln von Gefängnisdirektor Burl Cain ist das zu erkennen. Der Bau der Kirche und die Priesterausbildung sind Ideen des untersetzten Mannes, der die Leitung von Angola im Januar 1995 übernahm und aus dem einst blutigsten Gefängnis der Vereinigten Staaten fast so etwas wie einen Hort des Friedens machte.

Vor Cain gaben Mord und Totschlag den Rhythmus vor. In den 1990er Jahren kam es im Durchschnitt zu 1347 Gewalttaten. 79 Menschen wurden pro Jahr umgebracht. Die Verhältnisse in Angola waren chaotisch und die ausufernde Gewalt verhalf zu trauriger Berühmtheit. Dann kam Burl Cain, und mit ihm seine ganz eigene Auffassung von Strafvollzug. „Man braucht erst ein Gefängnis, bevor man Sicherheit haben kann“, soll er gesagt haben. Aber auch, dass es „unsere größte Herausforderung ist, dort Hoffnung zu geben, wo Hoffnungslosigkeit herrscht“. Gemeint haben dürfte er, dass die Häftlinge Aufgaben und Ziele brauchen, um ihr Leben in Unfreiheit überhaupt meistern zu können. Die freie Marktwirtschaft schien dafür genau das richtige Mittel zu sein.

Cain verwandelte das Gefängnis in ein Großunternehmen mit Umsätzen im dreistelligen Millionenbereich. Praktisch jeder Inhaftierte ist in irgendeinen Arbeitsablauf eingebunden, an dessen Ende wirtschaftlicher Erfolg steht. Ein Ansatz, der offenbar funktioniert. Ermordet wurde schon lange niemand mehr und die Zahl der Gewaltdelikte ging auf unter 300 im Jahr zurück. Dagegen wird nun in Angola mit jedem erdenklichen Business Geld gemacht. Der Jahresumsatz soll bei 100 Millionen Dollar liegen.

Die Liste der Geschäftsfelder ist lang: Ackerbau, Viehzucht, Fahrzeugbau, eine Kfz-Werkstatt, eine Druckerei, eine Metallfabrikation, eine Tischlerei und ein Golfplatz. Die Auslieferung der Waren liegt in den Händen der eigenen Spedition. Im Gefängnisshop und über das Internet werden Sonnenbrillen, Bücher, Sweatshirts, Poster, T-Shirts, Postkarten, Golfbälle, Bleistifte und Marmelade feilgeboten. The Angolite, das Knast-Magazin, wird für $20 im Abonnement innerhalb der USA ausgeliefert. Für $52 bekommt es der Leser an jeden Ort der Welt geschickt. Alles wird zu Geld gemacht. Ein Verkaufsschlager: die Barbecue Soße „Guts & Glory Hot Sauce“.

Selbst mit Musik, die im Gefängnis Tradition hat, werden Einnahmen erzielt. Der berühmte Sänger Hudson „Leadbelly“ William Ledbetter kam 1930 wegen Raubes und Mordversuchs nach Angola und nahm dort mit seiner unverwechselbaren Stimme den Song „Goodnight Irene“ auf. Aber auch Musiker wie Robert Pete Johnson, Aaron Neville und James Booker saßen in Angola ihre Strafen ab. Über den Shop des Gefängnismuseums können heute gegen Vorkasse CDs mit Blues- und Jazz-Musik bestellt werden. Reiseveranstalter entdeckten das Hochsicherheitsgefängnis für ihre Kunden. Ausflüge nach Angola sind bei Jazz- und Blues-Fans ein Renner.

Das Rodeo ist wie selbstverständlich Teil des „Big Business“. Tausende Zuschauer pilgern jeden Sonntag im Herbst nach Angola, kaufen Fanartikel und zahlen Eintritt, um der Auseinandersetzung zwischen Mensch und Tier beizuwohnen. Für die Gefangenen eine Gelegenheit, um durch den kurzen Moment gefühlter Freiheit in der Arena ein wenig Anerkennung durch die Gesellschaft zu erhaschen.

Dass sich in einem Biotop der Hoffnungslosigkeit leicht Freiwillige selbst für die härteste Pokerpartie der Welt finden, verwundert nicht. Und es sind ohne Zweifel harte Burschen, die bei Bull Riding, Buddy Pick-Up, Guts and Glory oder Convict Poker antreten. Doch selbst ihnen dürfte mulmig im Magen werden, wenn darüber getuschelt wird, dass ein Stier mit seinen Hörnern vor einigen Jahren einem Häftling die Hoden abgerissen haben soll. Das Publikum johlt – das „Angola Prison Rodeo“ ist eröffnet. (Fotos: Louisiana State Penitentiary)

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