
Dabei sollte ich im Moment jedem Streit aus dem Weg gehen. Vier Wochen Antibiotika, Schmerzmittel, Entzündungshemmer, Kortison und Salben aller Art haben mich dann doch ein wenig mürbe gemacht. Jetzt quasi ohne Verband sieht mein linker Arm aus wie von einem Schulbuben und der Ellbogen ist immer noch mehr als empfindlich (aber immerhin wieder deutlich als solcher zu erkennen). Kürzlich saß ich in einer wirklich wilden Omahapartie. Theoretisch 2er Blind, aber real doch irgendwie deutlich höher. Der Spieler zu meiner Linken, also knapp neben meinem schutzlosen Ellbogen, ein Grobmotoriker der gröberen Art. Ein 100 Euro-Schein nach dem anderen wurde hervorgezupft und die Chips per Kilo verarbeitet. Geflucht wurde in Permanenz auf serbokroatisch (oder kroatoserbisch). Die Schlüsselworte waren „Mutter“ und „ficken“ in den sexuellen Varianten „Mund“ und „Arsch“. Der gute alte Vaginalverkehr war ihm scheinbar nicht fluchwürdig genug. Bei Potverlust am River zerknüllte er seine vier Karten mit der rechten Faust, um sie mit einer gewissen Eleganz in Richtung des geduldigen Dealers zu werfen.
Das ging mich ja eigentlich alles nichts an und wäre mir unter normalen Umständen kaum besonders aufgefallen. Klar, ich musste meinen verletzten Arm in Sicherheit bringen, wenn es ans Karten zerknüllen ging und sein Gehopse und Gefluche konnten einen schon theoretisch ein wenig nervös machen. Aber eben nur ein wenig, und ohne die Sache mit den Zigaretten, hätte das wohl ewig so weitergehen können. Der fluchende Nachbar zu meiner Linken entpuppte sich als Kettenraucher. So auch sein stiller Freund am anderen Ende des Tisches. Irgendwie rührend, die beiden teilten sich ein gemeinsames Päckchen rote Marlboro. Nach jedem Karten zerknüllen, fluchen und Geldwechseln nickte der Grobmotoriker dem Stillen zu und der warf die Zigaretten quer über den Tisch. Die Wurftechnik unexakt und talentfrei. Passend zum präsentierten Omahaspiel. Das fliegende Päckchen knapp an meiner Nase. Die fangende grobmotorische Hand knapp neben meinem schutzlosen Ellbogen. Da kann man schon ein wenig nervös werden und es begann in mir zu brodeln. Ein gutes „open raise“ wäre vielleicht gewesen: „Wenn du schon in jeden Pot einen Hunderter reinscheißt. könntest zu zumindest über den Ankauf eigener Zigaretten nachdenken.“ Irgend so etwas in der Art. – Und was habe ich gemacht und gesagt? Gar nichts. Bin da schweigend und duldend gesessen. Im Wissen nicht zu wissen, wie das dann weitergegangen wäre. Man stelle sich vor, das wäre dann ein wenig eskaliert, wie wäre ich dann aus der Nummer rausgekommen? „Können wir das bitte in vier Wochen ausdiskutieren. Der Chirurg hat mir schon maximale Schonung aufgetragen. Bitte lieber Herr Jugoslawe, wenn Sie mir kurz Zeit geben, fahre ich nach Hause und hole den „Arztbrief“. Da steht das alles drauf mit der Schonung und so. Wir prügeln uns dann in vier bis acht Wochen. Vielen Dank für Ihr Verständnis und weiterhin viel Glück und dürfte ich Ihnen zukünftig die Zigaretten von ihrem Freund persönlich holen und anzünden?“

Götz Schrage








