Deaf Poker – Wenige Worte und viel Pokerherz – Undercover unterwegs

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Man hört nichts oder kaum was. Keine lästigen Bad Beat Stories. Keine Analysen der dümmsten der Dummen, die erst eine Hand komplett vergeigen, um dann zu erklären, wie schlecht die anderen spielen. Man muss nicht immer wieder aufs Neue  dem Gejammere der Gescheiterten lauschen und kein Handy läutet und wenn es läutet, erwartet wohl kaum jemand, dass man abhebt. Andererseits, keine Musik von Miles Davis und John Coltrane, kein Hagen Rether über den man schmerzlich lachen kann und keine Daniela Katzenberger, deren breite Sprache man hören muss, um sich aufrichtig zu lieben. – Deaf Poker Turnier gibt es auf der ganzen Welt. Die Wiener Heumühle veranstaltet einmal monatlich ein Event. Für Hochgepokert.com habe ich als Dealer angeheuert. Ungelernt, undercover und ziemlich nervös.

Eine Stunde vor Turnierstart bin ich gestellt. Schwarze Hose, schwarzes Hemd und neugierig auf das, was da kommen soll. Meine Kollegen sind schon da. Patrick kenne ich als verdienten und sympathischen EPT-Dealer. Der blonde etwas ältere erzählt von seinen Sportwetten und dass er davon recht gut leben kann. Ich habe so was früher auch mal erzählt und paradoxerweise hat das damals auch gestimmt. Eddie der Chef stellt mich dem Organisator vor und ich bekomme einen Crash-Kurs in Gebärdensprache. „Call“ gefällt mir. Das hat Humor. Man nimmt die Hand zum Ohr und imitiert einen klassischenTelefonhörer. Raise verstehe ich. Der Unterschied zwischen Hundert und Tausend ist schnell erklärt. Der Finger zeigt die Zahl und die Geste danach entscheidet über die Nullen. „Mach Dir keine Sorgen“ sagt Eddie: „An jedem Tisch sitzt einer der hören kann. Der hilft dir“.

Mit keine Sorgen machen kenne ich mich nicht aus. Ich mache mir Sorgen, da kämen die Drehbuchschreiben von Monk nicht auf die Idee, dass man sich darüber den Kopf zerbrechen könnte. Außerdem pitche ich die Karten ein wenig wackelig. Mit den Chips mache ich Tempo und scrambeln tue ich schneller und besser als jeder Pizzabäcker auf Anabolika. Nur da pitchen, diese loslassen müssen der Karten auf einen unsicheren Flug über Aschenbecher und ungeschickte Hände, die gierig nach den Karten greifen, macht mir Angst. Überhaupt, dealen vor fremden Spielern, die zwar nicht hören können, aber sicher doppelt kritisch und angewidert drein schauen wenn etwas nicht passt. Noch zwanzig Minuten bis zum Start. Ich esse das Personalessen – tadellose Würstchen mit allen Schikanen – und lausche den erfahrenen Kollegen. Das Lokal füllt sich langsam. Überall wird gestikuliert und scheinbar auch diskutiert. Ich komme mir vor wie in Finnland, da habe ich auch kein Wort verstanden (aber wenigstens was gehört). „Turnierstart in fünf Minuten“. Ich wackle zu meinem Tisch. Auf dem Weg an der Bar vorbei muss ich an Eddie vorbei. „Du Götz, der der auf deinem Tisch hören kann hat abgesagt. Mache dir keine Sorgen. Du schaffst das.“– Wenn mir noch einer sagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll, fahre ich nach hause. Auch Dealer sind Menschen. Irgendwie. Und bestimmen doch ihren emotionalen Haushalt immer noch selber.

Der Tisch füllt sich. Ich lächle jedem dämlich zu und nicke. Jetzt habe ich sonderbarsten Begriffe der Pokergebärdensprache gelernt, aber niemand hat mir gezeigt wie „Guten Abend“ geht. Alle habe ihre Chips und los geht es. Alles flutscht geschmeidig. Die Karten surren wie an der Schnur und sonst muss ich gar nicht viel tun. Irgendwie scheint der Verlust der Hörsinns die Fähigkeiten zur Kooperation zu steigern. Jeder weiß wann er dran ist und tut dann das richtige. Fantastisch! Platz Eins und Platz Neun flirten ein wenig miteinander und ich sitze da als Koloss mit 100 Kilo dazwischen. Schon ein wenig peinlich. Immer wenn die sich was zu erzählen haben mit Fingern und Gesten, versuche ich mich aus dem Bild zu beugen. Ich packe meine ersten Gesten aus und es scheint zu funktionieren. Sehr gefragt ist das Zweibetten. Also die gesetzt Summe wird verdoppelt. Dafür klopft man den Zeigefinger auf den Daumen. 1000.- gespielt – Zeigefinger auf Daumen geklopft – und der flirtende Kavalier auf Platz weiß, das kostet jetzt 2000.- Wichtig ist nur, dass an die Finger senkrecht hält dabei. Zu einer späteren Stunde und etwas ermüdet, habe ich da was falsch gemacht und die Hand waagrecht gehalten. Die Männer haben sich geschüttelt vor Lachen und die jungen Frauen peinlich berührt ins Nichts gestarrt. Wahrscheinlich mein erster schmutziger Deaf-Witz. Vielleicht gehe ich damit auf Tournee.

Zweites Level. Drittes Level. Der Rücken tut weh. Ich habe meine erste All in Situation. Der eine Spieler hat ein maximales Over-Pair. Der andere hat Luft. Am Turn starte ich das Massaker. Erst gebe ich die Karte, die einen Bauchschuss ermöglicht und Zack am River liegt die Straße da. Der Junge mit dem hohen Paar macht mit seinem Stuhl einen Satz nach hinten. Das billige chinesische Beistelltischchen mit Plastikgoldrand und hässlichem Rauchglas übersieht er dabei. Mit einem lauten Scheppern zerschellen Biergläser, Aschenbecher und Colaflaschen am unbarmherzigen Fliesenboden der Heumühle. Niemand am Tisch registriert das. Niemand erschrickt, niemand schaut nach. So ganz „normale“ Reaktionen der Neugier bleiben aus, weil es niemand zu hören scheint. Echt ein wenig skurril. Ich zähle die Chips und muss lachen. Es ist so scheiß unprofessionell und ich schäme mich, aber da geht die Welt klirrend in Scherben mit einem Höllenlärm und alle schauen auf den Tisch. Ich kämpfe wie ein Kiffer gegen das Lachflash und sortiere den Pot. Hoffentlich glaubt der nette Spieler auf Platz Sechs nicht, dass ich ihn aus Schadenfreude auslache oder so. Eddie ist Gott sei Dank nicht da. Wäre ich Floorman gewesen, ich hätte mich nach hause geschickt. Gnadenlos.

Manche am Tisch helfen mir ein wenig. Viele haben Pokerwörter gelernt, die sie durchaus verständlich artikulieren können. Am Anfang zweifle ich am meinen Gehör, es kommt mir so vor, als ob der eine Spieler mit deutschem und der andere mit ungarischem Akzent Worte wie „Alles“ oder „Gut“ sagt. Dann haben wir noch einen chinesischen und einen türkischen Spieler am Tisch und selbstverständlich packen die bei den wenigen Begriffen auch noch einen Akzent aus. Sehr beeindruckend. Warum das so ist, darüber kann ich im Moment nicht nachdenken. Es häufen sich die all-in Situationen. Es ist inzwischen spät geworden. Der Finaltisch ist in Sicht. Platz Eins kann nicht mehr flirten, weil die junge Dame auf Platz Neun ausgeschieden ist (wieder ein Bad Beat, den ich ausgeteilt habe, aber diesmal ohne zu lachen). Dafür hat der neue Spieler auf Platz Fünf seine eigenen Cheerleaderinnen mit gebracht. Quasi die Deaf Poker Beauties und die sind wirklich „beauty“. – Wenn einer ausscheidet, gibt es kein Jammern. Die Hände werden geschüttelt und man kommt sich vor wie in einem noblen britischen Sportklub oder so. – Irgendwann bin ich dann fertig. Eddie bietet mir zwar an am Finaltisch zu dealen, aber das lasse ich meine EPT-Kollegen tun. Bis jetzt keinen großen Fehler gemacht und dabei will ich es auch lassen. Doch beim nächsten Turnier bin ich wieder dabei. Mich haben die Spieler wirklich beeindruckt und wenn man mich lässt, werde ich offizieller Deaf Poker Dealer. – Nur „Guten Abend“ muss ich noch lernen und wenn ich das nächste Mal Witze in Gebärdensprache mache, sollen die wenigstens stubenrein sein. Ich werde daran arbeiten. Versprochen.

Götz Schrage

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