
Informanten braucht man als Journalist. Ohne die geht gar nichts. Irgendwer muss einem ja erzählen was so läuft hinter den Kulissen. Allerdings zu groß dürfen die Erwartungen auch nicht sein. Oft spielen persönliche Dinge eine Rolle, oft gibt es unverhohlene Animositäten und dementsprechend tendenziös sind dann auch die ungefragt einlangenden Reports. Andererseits sollte man offen sein und zumindest einmal zuhören. Letztes Wochenende hätte ich mir mein Handy auch am Ohr festtackern können. Hilferufe aus der Spielbank Berlin in massiver Zahl. Freundlich wie ich bin habe ich abgehoben und doppelt freundlich, auch noch zugehört. Dann ein paar belanglose Worte, zwei bis drei leere Versprechungen mich „persönlich darum zu kümmern“ und fertig. Abgesehen davon reagiere ich allergisch auf die Phrase wie „Jetzt hör zu“ und besonders nicht leiden kann ich „Darüber musst du schreiben….“. Allerdings wenn ich einen Anruf bekomme, wo mir ein Spieler bei den „Augen seiner Mutti“ schwört, dass gerade ein Cashgame-Tisch geschlossen werden musste, weil der Dealer woanders gebraucht wurde, erwache ich als alter Casinomann aus meiner Trägheit. Quasi der größtmögliche Tabubruch. Da lehnt sich der eine oder andere Spieler finanziell aus dem Fenster, verliert vielleicht den einen oder anderen Pot und dann ist es plötzlich aus, weil der Dealer abgezogen und nicht entsprechend nachbesetzt werden kann. Sehr peinlich und Grund genug für mich in die ungeliebte Recherche zu gehen.
Viele Telefonate – und etliche Schwüre später – fand ich dann noch einiges mehr heraus bezüglich der Praktiken im Cashgame-Bereich. Zeitweise wurde dann sehr wohl ein Dealer gefunden, um die aus nah und fern angereisten Spieler mit seinen limitierten Künsten am Omaha-Tisch zu erfreuen. Natürliche Erschöpfung, oder vom Betriebsrat angeordnete Zwangspause. Wie auch immer, nach fünfzig Minuten kam ein höflicher Floorman und unterrichtet die Spieler darüber, dass der Dealer jetzt eine fünfzehnminütige Pause antreten würde. Für Ersatz werde nicht gesorgt, aber man solle als Spieler frohgemut auf das Ende der Auszeit warten. Rührende Szenen in der Folge. Es wurde – wahrscheinlich einmalig in der zivilisierten Casinowelt – eine selbstverwaltet Tischwache eingerichtet. Auf gut deutsch, während die anderen Spieler sich die Beine vertraten oder ein Zigarettchen rauchen gingen, musste ein kräftiger Spieler auf die Chips der Gegner und seine eigenen aufpassen. Unfassbar. Solche Storys lassen sich gar nicht erfinden und wenn so was in Wattenscheid Süd, Uelzen Mitte oder Castrop Rauxel passiert, hat es doch irgendwie etwas Rührendes. Aber Berlin! Deutschland ist wohl auf dem Weg die zweitwichtigste Pokernation der Welt zu werden. Wenn dann das Hauptstadt-Casino mit der Umsicht und Flexibilität eines bulgarischen Traktorwerkes (vor dem Fall der Mauer) geführt wird, ist das mehr als peinlich.

Das Main Event der Deutschen Pokermeisterschaft 2011 durfte ich ja im Livestream verfolgen (Danke Meike!). Dazu ist ja einiges berichtet worden. Kurz dachte ich dem sonst so milden und wohlwollenden Kollegen Rainer Vollmar von PokerOlymp sei der routinierte Kragen geplatzt. Immerhin titelte er seinen Bericht: „Deutsche Pokermeisterschaft – Die Entdeckung der Schmerzlosigkeit“. Ein schöner Titel, ein guter Text, allerdings die „Schmerzlosigkeit“ bezog sich dann auf „Vizemeister“ Ivan Todorovic und dessen gewöhnungsbedürftigen Spielstil. Kritik gibt es zwar durchaus versteckt zwischen den Zeilen – aber eben doch sehr gut versteckt. Dass ein Spieler an einem Finaltisch mit einem wenig zeitversetzten Livestream in sein Handy tippen darf, sieht man auch selten. Will da gar nichts unterstellen, aber ein weiteres Indiz für angewandte Provinzialität in der Hauptstadt Berlin – Dass der regierende Deutsche Pokermeister 2011 nicht mit vollem Namen genannt werden möchte passt ins unglückliche Bild. Wobei, ich kenne die Gründe nicht wirklich, aber ich weiß, wer der Bruder des Gewinners ist und mir sind ebenfalls die ethnischen Wurzeln bekannt. Es gibt immer noch Länder und Regime, bei denen wir Mitteleuropäer uns nicht anmaßen dürfen, zu bestimmen, was ein Problem sein kann und was nicht. Da muss man die Bedenken einfach respektieren und nicht weiter kommentieren. – Dass die Spielbank Berlin die Deutsche Pokermeisterschaft 2011 ausgerichtet hat, kann und soll man sehr wohl kommentieren. Bin mal gespannt, was da alles so kommt und freue mich auf hitzige Diskussionen.
Götz Schrage








