

Junge Dealer verzweifeln manchmal an ihrem Job und dann klagen sie mir ihr Leid. Es sind dann keineswegs die wechselnden Arbeitszeiten, die permanenten Schlafstörungen und die Schere zwischen dem realen und dem erwarteten Verdienst, die bei jungen Menschen nachhaltige Stressbelastungen auslösen. Verantwortlich für die angespannte Nervenlage sind meist die bekannten Casinoverrückten. Menschen, die im zivilen Leben oft über tadellose Umgangsformen verfügen, im Angesicht von Chips und Karten aber zu praezivilisatorischen Urmenschen mutieren. Quasi den kleinen Phil Hellmuth in sich aktivieren und alles sprudeln lassen an verbalem Unrat, der ihnen in solchen Momenten durch ihr Stammhirn geistert. Wer mich dann auch noch um Rat fragt, muss wirklich verzweifelt sein und mit dementsprechender Sorgfalt bemühe ich mich dann auch um therapeutische Linderung. Ich durfte Phil Hellmuth schon mal live erleben in der hilflosen Artikulation seines ehrlich empfundenen Unglücks. Und genau diese ehrlichen Empfindungen des zwölffachen Bracelets-Gewinners lassen uns sein Benehmen verzeihen, wenn wir denn verzeihen wollen. Da ist kein Kalkül und kein Versuch den Gegner zu manipulieren, oder zu beleidigen. Die Emotion reflektiert exklusiv auf sich und sein Weltenunglück. Im Gegensatz etwa zu Tony G., der volle Kontrolle über sein Tun und Handeln hat. Der seine Gegner verhöhnt und beleidigt, weil er es für strategisch schlau hält und Fernsehzeiten kostbar sind, verliert Phil Hellmuth tatsächlich komplett die Kontrolle über sein Sprachzentrum. Er beleidigt nicht. Es beleidigt aus ihm heraus und sein limitiertes Mitspracherecht beschränkt sich auf den körpereigenen Lautstärkeregler. Unter höchster Anstrengung murmelt er dann seine subjektive Wahrnehmung über die maßlosen Ungerechtigkeiten dieser Welt in sich hinein. Ähnlich den armen Menschen, die sich ihr Leben lang mit dem Tourette-Syndrom plagen müssen, und deren Möglichkeiten sich darin erschöpfen die unwillkürlichen Worte gewissermaßen zu verschlucken oder wegzuhusten. Phil Hellmuth in Fahrt fehlt sogar diese Option. Wie bei Schlecker muss alles raus, was raus muss und das sobald wie möglich.

Apropos Patienten und Seuchenwochen. Hier an dieser Stelle ist vielleicht doch der richtige Moment kurz etwas zur Unkultur mancher Kommentare zu schreiben. Die sind nämlich ohne jeden Charme und ohne mildernde Umstände. Einfach eine Lebensentscheidung in der späten Adoleszenz. Versuche ich ein normales Leben zu leben, kümmere ich mich um Witz, Ausbildung und Körperästhetik und hoffe dadurch auf entsprechende Attraktivität bei den paarungswilligen Weibchen. Oder ich entscheide mich für ein Leben vor dem Bildschirm und poste traurige Botschaften ins Netz mit den Schlüsselworten „Votze“, „Fotze“, „ficken“, „arschficken“, „Gacke“ und „Scheiße“. Ein tragisches Leben und unser Mitgefühl sei mit denen, die scheinbar nicht anders können. Vielleicht können wir von der Hochgepokert.com Psychoecke ja ein wenig helfen? Fünf fäkale Kommentare editiert und bestätigt helfen mit Sicherheit, den richtigen Therapieplatz zu finden.
Für Phil Hellmuth wünsche ich mir, dass er genau so bleibt wie er ist. Ein wunderbarer und schrulliger Vertreter seiner Art. Ein Fossil und somit zart am Artenschutz vorbei geschrammt. Zwölf Bracelets sind eine stolze Zwischenbilanz, aber noch lange nicht das Ende. Da ist noch Platz am Arm und Phil hat lange noch nicht genug. Ob es beim Main Event dieses Jahr wieder einen speziellen Auftritt geben wird weiß ich nicht. Für den Fall der Fälle, werden unsere tüchtigen Jungs Lennart und Fabian für Hochgepokert.com vor Ort sein. Und darum beneide ich sie.
Götz Schrage








