

Beschlagnahmt wurden €12 000. In Summe! Das muss einen natürlich beeindrucken. Ich kenne chinesische Köche, die haben mehr an Bargeld einstecken. Wäre ich Polizist würde ich mich wundern, warum die Städte voll sind mit Dümmlingen, die hässliche Geländewägen für 40k plus fahren und nicht darüber, dass zwanzig erwachsene Menschen zwölftausend Euro dabei haben. Meine Heidelberg-Kompetenz mag ja umstritten sein, aber bei Razzien kenne ich mich selbstverständlich aus. Schließlich habe ich einen Ruf zu verlieren und die Unverhältnismäßigkeit zwischen den vermeintlichen „Tätern“ und der unangekündigten behördlichen Nachschau, gibt es in Österreich genauso. Fast hat man den Eindruck in vorauseilender Loyalität mit den staatsnahen Glücksspielanbietern wird die ganze Aktion so richtig auf Blitzkrieg gebürstet. Wenn viele vermummte Einsatzkräfte den „Tatort“ stürmen, muss es sich ja wohl um einen Auftrag der gefährlichsten Vorwarnstufe handeln. Das sich die Polizei für solche Antimarketing-Feldzüge im doppelten Wortsinn hergibt, stimmt doppelt bedenklich. Bei den Wiener Razzien, denen ich dienstlich beizuwohnen hatte kann man locker von einem Verhältnis von eins zu zehn ausgehen. Auf anderthalb Pokertische kamen in der Regel dreißig wirklich harte Jungs mit Kampfhosen und Barrett, acht bis zehn normale Polizisten mit Kappen in verschiedenen Farben, etliche Zivile, diverse Ämter, einmal sogar eine Sozialarbeiterin und Männer mit Koffern und Kameras. So voll sind die kleinen Casinos nicht mal bei Freibier. Das Gemeinwohl ist in keiner Weise gefährdet, Gewalt und Aggression gibt es auch bei jedem Elternabend im Waldorf-Kindergarten deutlich mehr. Falls die Veranstalter gegen Gesetze verstoßen haben, und davon muss man leider ausgehen, gäbe es von der Verhältnismäßigkeit viel entspanntere Methoden des Einschreitens. Scheinbar geht es aber nicht darum einzuschreiten, sonder eher darum, viel Lärm um praktisch nichts zu machen. – Traurig, dass es da in der breiten Öffentlichkeit keinen Protest und keine Solidarisierung gibt. Ich will auch nicht, dass Hunde in die Fußgängerzone scheißen, die Behörden erlauben aber hoffentlich keine Drohnenangriffe, oder schicken Ulrich Meyer von Akte 2012. – Was wahrscheinlich noch schlimmer wäre.

Götz Schrage: „Wenn man als Staatsbürger eine illegale Pokerpartie spielt, hat man dann einen Anspruch auf eine Verhältnismäßigkeit der akuten Sanktion? Oder muss der, der einen Kaugummi auf den Gehweg spuckt, damit klar kommen, dass ihn unter Umständen ein Helikopter SWAT-Team mit Lasso von der Straße zupft?“
Axel Mittig: „Staatliches Handeln gegenüber den Bürgern hat IMMER auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das gilt für Kaugummi auf der Straße ebenso wie für Hausdurchsuchungen, Verhaftungen usw. Ich will hier jetzt niemanden in Schutz nehmen, aber das Problem bei einer „Razzia“ ist doch, dass auch die Strafverfolger erst hinterher schlauer sind als vorher. Vorher weiß oftmals niemand, wie sich die Situation ganz genau darstellen wird, wenn ein Laden „gestürmt“ wird. Mit der Begründung/Prognose einer potentiell höchst gefährlichen Situation („es könnte ja jemand eine Waffe ziehen“) lässt sich wohl so ziemlich jedes Polizeiaufgebot rechtfertigen. Solange die Beamten dann beim Einsatz selbst nicht über die Stränge schlagen, sehen einzelne Einsätze zwar unbestritten reichlich übertrieben aus, jedoch wird man als Betroffener nicht die Unverhältnismäßigkeit erfolgreich einwenden können.
Das schließt aber natürlich nicht aus, dass bei solchen Einsätzen die Polizei nach meinem persönlichen Eindruck auch gelegentlich ihren Ermessensspielraum enorm ausreizt und bewusst einschüchternd agiert, um eine bestimmte Wirkung in der Öffentlichkeit zu erzeugen.“
Götz Schrage: „Du als Insider. Wer hat ein Interesse an so brachialen Aktionen? Ist es das Unwissen der Polizei, die hinter jedem Kartenspieler einen Mafiaboss vermutet? Oder gibt es da die pädagogische Razzia, damit die staatsnahen Spielbanken ihre Cashgames voll bekommen?“
Axel Mittig: „ Die Erfahrung zeigt, dass (meist anonyme) Hinweise auf illegale Spielrunden eher von „Konkurrenzunternehmern“ und/oder von ehemaligen Teilnehmern der Runde stammen. Mein Eindruck ist eher nicht, dass die Spielbanken solche Aktionen forcieren oder die Behörden in erster Linie deren Interessen schützen möchten.
Es spielt meines Erachtens eine große Rolle, welche „Tradition“ das Spiel Poker in Deutschland hat. Der ermittelnde Durchschnitts-Staatsanwalt oder -Kripobeamte findet den Begriff Poker sicherlich nach wie vor in der Schublade mit der Aufschrift „organisierte Kriminalität“. Die Existenz von Sachpreisturnieren, Spaßrunden und Pokervereinen ist dort bestimmt nicht überall bekannt. – Es dürften meines Erachtens also eher Unwissen und Vorurteile der Ermittlungsbeamten sein, wenn über das Ziel hinausgeschossen wird.“
Götz Schrage: „Vielen Dank für die kompetenten Antworten und wir sehen uns dann bei unserem Essen.“








