

Endlich mal wieder eine Gelegenheit in alten Zeiten zu schwelgen. Der pokerhistorisch interessierte Teil meiner Leser wird es mir danken. Die weniger Gutwilligen werden sich angewidert abwenden im fälschlichen Glauben einmal mehr nichts lernen zu können und somit wertvolle Lebenszeit zu verschwenden. Selbstverständlich eine unhaltbare These, weil die Scheine – ganz egal wie viele es aktuell auch sein mögen – verflüchtigen sich garantiert. Die Geschichten bleiben. Immerhin etwas, auf das man sich verlassen kann. Irgendwann werden wir alle älter, auch die jungen Online-Grinder aus der Abteilung: „Ich-gewinne-zwar-nicht-beim-Pokern-kann-aber-vom-Rakeback-leben“ werden dieser Dynamik der Zeit nicht entkommen. Wenn man sich dann später zurückerinnert und alles was einem einfällt war der Abend, an dem die Batterien von der Maus kaputt waren und man beim Nachbarn anläuten musste, um sich welche zu leihen, bleibt das wenig abendfüllend. Leon Kandlbinder hat sein Jahrzehnt des Erfolges gelebt wie ein Mann. Abseits des Pokertisches ein durchaus umgänglicher Kerl, aber im Casino ein Psychopath auf Bewährung, mit dem Talent stets das zu sagen und zu tun, was man keinesfalls sagen und tun sollte. Gattuso auf Crack, Prince Boateng auf Koks oder Uli Hoeneß nach einer Kiste Red Bull auf nüchternen Magen. Jedenfalls furchteinflößend anstrengend und wegen seines Schandmauls auf dem Trip der permanenten Selbstgefährdung. Im alten Las Vegas hätten sie Leon garantiert in der Wüste verbuddelt. An einem besonders hässlichen Platz wo man die Reste bald findet. In Serbien hätten sie ihn ins Meer geschmissen und in Russland hätte man ihn nach Sibirien verbannt und er müsste die Zelle mit den Pussy Riots teilen. Auch kein leichtes Schicksal. In Wien hatte er die richtigen Freunde (siehe oben), aber auch unsere Beziehung begann alles andere als konfliktarm. Ich erinnere mich an einen gemeinsamen winterlichen Gang auf den dunklen Teil des Parkplatzes, aber irgendwie waren wir beide ein wenig zu dünn angezogen und die Partie war auch so schön, dass man keine Hand versäumen wollte. Wir sind kurz Nase an Nase gestanden und dann beide mit heilen Nasen wieder reingegangen und seitdem gab es nie wieder einen ernsthaften Streit.
Neben Jin – dem Hochgepokert.com User bekannt von den „Vienna High Roller“ – war nebenbei erwähnt auch Jeff Lisandro Teil der hohen Wiener Partie. Bei Limit Holdem eine Macht, aber bei Seven Card Stud ein blutiger Anfänger. Vielleicht weil er dort lernen wollte, wo es richtig weh tat, hat er sich seinerzeit regelmäßig zu uns gesetzt. Keiner konnte ahnen, dass Jeff Lisandro später gleich drei Bracelets bei den WSOP-Stud Events gewinnen würde. Jedenfalls am Ende der „Ausbildung“ haben sich Jin und Leon beide den gleichen Cadillac gekauft. Für mich hat es gereicht, um meinen Alimenten und Unterhaltszahlungen nachzukommen und ein Fahrrad habe ich mir auch gekauft. Das Fahrrad habe ich noch, womit wir wieder elegant bei den bleibenden Werten wären. Finanziell schmerzhaft in Erinnerung ist mir eine andere Story. In einem Wiener Kaffeehaus gab es in den 90ern eine wirklich verdammt hohe Partie. Einfach so mitspielen war nicht möglich, man brauchte schon so eine Art Bürgen oder zumindest jemanden, der den entsprechenden Kandidaten dort mit wohlmeinenden Worten einführen konnte. Vereinbart war, dass ich mit 25% dabei gewesen wäre. Umgerechnet €25 000 waren ein solides Stack für die Partie. Am Weg ins Kaffeehaus kam es dann zu folgendem Dialog: „Götz, ich habe ein Problem!“. „Leon, wirst du dich auch gut benehmen? Ich habe für dich garantiert“. „Ja Götz, du kannst dich auf mich verlassen. Nur ich habe mit meiner Freundin gestritten und wenn ich mit meiner Freundin streite, spiele ich wie ein Schwein und verliere praktisch immer. Das kann heute richtig, richtig teuer werden. Ich habe ein sehr schlechtes Gefühl und bin nicht beleidigt, wenn du aussteigst.“ Nun, ich bin dann erst aus dem nagelneuen Cadillac und dann aus dem Deal ausgestiegen. Gewonnen hat der Leon in der Nacht mehr als €100 000 und ich durfte von der Bar aus zusehen. Immerhin meine Getränke habe ich ihn bezahlen lassen. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Götz Schrage
Foto: Babylon1.com








