
Wie es mir geht möchten Sie wissen? Nun, wo fange ich an zu jammern? Emotionale Instabilität, depressive Stimmungslage und massive Wortfindungsprobleme gehören noch zu den leichteren Symptomen. Kürzlich wollte ich einer mitteljungen Mutti in einem mittelkurzen Sommerkleidchen nachpfeifen und brachte keinen Ton heraus. Meine geschürzten Lippen bliesen quasi warme Luft ins Leere. Irgendwie habe ich meine Mitte verloren und meinen Sinn sowieso. Vier Wochen lang absolute Pokerpause, vier Wochen Pokerurlaub, vier schreckliche Wochen der freiwillig gelebten Abstinenz. Alle zwanzig Jahre kann man so was ja mal machen. Kollege Stefan Hachmeister und das geliebte Pokerblatt haben mich jetzt aus meinem dunklen Loch geholt, und dafür bin ich aufrichtig dankbar. Zeit wieder ein wenig zu kolumnisieren über das schöne Casinoleben. Das casinolose habe ich ja jetzt ausprobiert. Die Pokerwelt hat mich wieder und Jan Peter Jachtmann hat es möglich gemacht. Jetzt grüße ich noch meine Mutter und Jens Knossalla, hole mir ein kühles Bier aus dem Kühlschrank und lege gleich los. – Bitte noch einen Moment Geduld. Danke.
So, da bin ich wieder. Hatte ich bereits erwähnt, dass ich auf Pokerferien war? Egal, das soll jetzt nicht das Thema sein. Wobei indirekt schafft temporäre Distanz auf jeden Fall ein Gefühl der vermissten Nähe. Was man jeden Tag hat, hat man dann irgendwie nicht mehr so recht am Schirm. Man vergisst wo man hingehört, wenn man sowieso immer dort ist. Ins Casino gehen macht auf jeden Fall Sinn und meine juvenile Entscheidung meine Nächte dort zu verbringen war seinerzeit wohl begründet. Vielleicht der beste Ort der Welt, wenn es darum geht, unbezahlten guten Sex zu haben. Wobei zugegeben, keine leichte Übung für den risikoscheuen Herrn. Die geschlechtliche Unverhältnismäßigkeit ist eine Herausforderung für sich und auch das mit dem „unbezahlt“ kann sich gleich zweifach als trügerisch herausstellen. Einerseits, wenn die junge attraktive Russin, die einem den ganzen Abend so verführerisch zugezwinkert hat später dann im Taxi die ganzen Tarife der mehr oder minder spektakulären „Extras“ herunterbetet oder wenn man zwar bei der möglichen Partnerwahl entsprechend Glück hat, dieses Glück aber wiederum am Spieltisch in allen entscheidenden Pötten fehlt. Mein teuerster unbezahlter Fast-Sex hat mich seinerzeit 25.000.- Deutsche Mark gekostet. Dabei wollte ich nur kurz und doppelt angeben. Den Spielern wollte ich meine heiße Eroberung zeigen und der jungen Dame beweisen, dass Poker kein Glücksspiel ist, selbst wenn man davor an der Casinobar ein paar Drinks zu viel genommen hat. Experiment misslungen und meine DM kann ich mir nie wieder zurückholen, weil mir inzwischen Bankroll und Währung fehlt.

Schreiende Chinesen, die mit den Händen fuchteln. – Ich weiß, in Gottes Garten gibt es auch andere laute Völker. Es gibt laute Griechen, sehr laute Araber, es gibt brüllende Russen und ich habe mal im Zug einen Schotten kennen gelernt, der mir erzählt hat wie laut Aborigines sein können, wenn sie denn müssen. Aber hast du mal einen brüllenden Chinesen am Tisch gehabt, dann willst du keine anderen mehr. Der brüllende Chinese an sich verbindet auf souveräne Art maximale Erregung, gepflegte Lautstärke, dramaturgischen Aufbau und Humor. So viel kann ich gar nicht im Brand sein, dass mich das nicht amüsiert. Ersatz zu finden in freier Wildbahn ist nicht leicht, allerdings bin ich durch Zufall fündig geworden. Fachmännische Substitution finden Sie in der chinesischen Gastronomie. Natürlich nicht in den normalen chinesischen Restaurants mit dem fernöstlichen IKEA-Chic und der Klimpermusik aus den chinesischen Lautsprechern. Dort ist es in der Regel abartig still. Sie müssen immer den Bussen hinterherfahren. Dort, wo chinesische Reisegruppen auf Europa-in-4-Tages-Trips abgefertigt werden. Dort finden Sie alles und ja ich weiß es hört sich unglaublich an, es ist dort gewöhnlich noch lauter und amüsanter, als an den wildesten Casinotischen. Hüten Sie sich bitte nur vor herumfliegenden Speiseresten.

Schlechtes Essen, das man gefahrlos zurückschicken kann ohne ernsthaft Lokalverbot zu riskieren. – Zugegeben, der schwierigste Teil einer umfassenden Substitution. In europäischen Casinos wird zwar kaum ein Fehler ausgelassen, aber so dumm, zockende Gäste wegen ein Paar lauwarmer Würstchen für immer zu verlieren, sind nicht einmal die hochnäsigsten aller Schulabbrecher. Selbst mir, als Schrecken jeder Casinoküche, ist es nicht gelungen mehr als vier Wochen Hausverbot am Stück aufgebrummt zu bekommen. Im Casino kann man also – weitgehend gefahrlos – das Essen genauestens prüfen, Widersprüche zur Karte aufzeigen und ausführlich mit den männlichen Kellnern diskutieren (mit den hübschen Serbinnen tut man das nicht wie weiter oben erklärt. Da isst man tapfer, was auch immer). Draußen in der freien Gastronomie ist das Leben, das Essen und manchmal auch das Steak steinhart. Einziger Zufluchtsort ist vielleicht noch der örtliche McDonalds. Die Verkäufer sind so sektenmäßig gedrillt und geschult denen kann man Pommes Frites, die noch vor Hitze dampfen, unter die Nase halten mit der Begründung, sie seien eben nur „lauwarm“ und man bekommt prompt neue. Das ist so leicht, dass es wieder keinen Spaß macht. – In diesem Sinne mein abschließender Rat. Substituieren Sie das Casino am besten mit einem anderen Casino. Mehr geht nicht wirklich und verdirbt auf Dauer einfach die Laune.
Autor: Götz Schrage







