Russisch-orthodoxe Kirche: Patriarch Kirill entlässt Metropolit Nestor wegen Poker

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Jewgeni Sirotenko am Pokertisch.
  • 37’000 Franken Gewinne: Metropolit Nestor wurde wegen Teilnahme an internationalen Pokerturnieren von Patriarch Kirill abgesetzt.
  • Politischer Hintergrund: Der Geistliche hatte sich wiederholt kritisch zur russischen Invasion der Ukraine geäussert und 2022 gemeinsam mit einem katholischen Erzbischof zum Frieden aufgerufen.
  • Kirchenexperten: Pokervorwürfe nur ein Vorwand sind, um einen politisch unbequemen Kritiker aus seinem einflussreichen Amt in Westeuropa zu entfernen.

Die russisch-orthodoxe Kirche sieht sich einem ungewöhnlichen Skandal gegenüber. Patriarch Kirill hat Metropolit Nestor von Korsun und Westeuropa seines Amtes enthoben und ein kirchliches Verfahren gegen den hochrangigen Geistlichen eingeleitet. 

Nestor, der unter seinem bürgerlichen Namen Jewgeni Sirotenko bekannt ist, leitete bisher die kirchlichen Aktivitäten in westeuropäischen Ländern wie Frankreich, Grossbritannien, Spanien, Italien, der Schweiz, Portugal, Belgien, Irland, Liechtenstein, Luxemburg und Monaco. Seine Aufgaben hat vorübergehend Metropolit Mark von Rjasan übernommen. 

Während die Kirche in ihrer offiziellen Pressemitteilung keine konkreten Gründe für die Absetzung nannte, ist die wahre Ursache längst durchgesickert. Nestor nahm seit Jahren unter seinem Klarnamen an internationalen Pokerturnieren teil.

Von der Kanzel an den Pokertisch

Die Enthüllungen wiegen schwer. In der grössten Live-Poker-Datenbank «The Hendon Mob» existiert ein vollständiges Profil des Metropoliten, Fotos von ihm an Turniertischen wurden auf der Website «PokerNews» veröffentlicht. Seine dokumentierten Pokergewinne belaufen sich auf über 47’000 Dollar, umgerechnet etwa 37’000 Franken. 

Das oberste kirchliche Gericht muss nun prüfen, ob Nestor möglicherweise Kirchengelder für seine Turnierteilnahmen verwendet hat. Nach den apostolischen Kanones der orthodoxen Kirche ist das Glücksspiel für Geistliche streng verboten. Kanon 50 des Konzils von Laodizea untersagt Klerikern sogar den blossen Aufenthalt an Orten, wo gespielt wird. Ein Verstoss gegen diese uralten Kirchengesetze könnte Nestor im schlimmsten Fall sein Priesteramt kosten.

Ukrainekrieg im Hintergrund

Viele Beobachter glauben allerdings nicht an die offizielle Begründung. Kirchenjournalistin Ksenia Luchenko vermutet politische Motive hinter der Absetzung: «Er hat die Ideologie der Russischen Welt nicht gefördert, er hat sich nicht genug gedemütigt. Er stand immer auf der Seite seiner Priester, nicht des Patriarchats, und verteidigte sie.» 

Tatsächlich hatte sich Nestor wiederholt kritisch zu Russlands Invasion der Ukraine geäussert. Dies ist ein Tabu in einer Kirche, die den Krieg in Moskau vehement unterstützt. Im April 2022 veröffentlichte er gemeinsam mit dem spanischen katholischen Erzbischof Francisco Javier Martínez eine Stellungnahme, in der sie zum Frieden aufriefen und das Ende von «Gewalt und Barbarei» forderten. Zudem weigerte sich Nestor, einen Priester in Madrid zu entlassen, der den Krieg verurteilt hatte, obwohl Patriarch Kirill dies angeordnet hatte. 

Der Exarch traf sich sogar mit Metropolit Alexander Drabinko von der autokephalen ukrainischen orthodoxen Kirche, den das Moskauer Patriarchat als «Verräter» betrachtet und jeglichen Kontakt mit dessen Kirche sowie dem Patriarchat von Konstantinopel strikt untersagt.

«Ein Vorwand»: Kritiker zweifeln an offizieller Darstellung

Der frühere Diakon Andrei Kuraev, der heute in Prag lebt, sieht in den Vorwürfen gegen Nestor einen durchsichtigen Vorwand: «Die Anschuldigungen rechtfertigen kein kirchliches Verfahren. Man kann einen passenden Kanon finden, aber es ist einer, den seit langem niemand mehr respektiert, so wie das Verbot, Schach zu spielen.» 

Die Vermutung liegt nahe, dass die Kirchenführung in Moskau einen unbequemen Kritiker loswerden wollte und dafür eine jahrhundertealte Regel ausgegraben hat, die in der Praxis kaum noch Bedeutung hat. Für Nestor bedeutet der Skandal das Ende einer einflussreichen Position. In der russisch-orthodoxen Kirche gibt es wohl einen Platz für Geistliche, die vom Kurs des Patriarchen abweichen.

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