Von Brunsons Super/System zu Holz‘ Pokercode – Die Geschichte des Pokerwissens

0

Bis zum Einsetzen des Pokerbooms vor nicht einmal 20 Jahren tappten die meisten Spieler noch im Dunkeln oder verschafften sich auf eher obskure Weise Wissen. Heute, viele Jahre nach Chris Moneymakers sensationellem Triumph sieht die Sache ganz anders aus: Bücher haben längst ausgedient, und wirklich ahnungslose Spieler findet man nirgends. Grund genug, sich die rasante Geschichte des Pokerwissens genauer anzusehen!

Wie alles begann!

Schon kurze Zeit, nachdem das Pokerspiel Anfang des 19. Jahrhunderts in den USA populär wurde, gab es die ersten schlauen Köpfe, die es genauer wissen wollten als die anderen.

Poker wird in der Literatur des 19. Jahrhunderts vielfach erwähnt, doch von strategischen Inhalten fehlt jede Spur.

Johnny Moss, Chill Wills, Amarillo Slim, Jack Binion und Puggy Pearson vor dem legendären Horseshoe

Die damaligen Cracks waren Gefühlsspieler oder trainierten wie die frühen Helden des 20. Jahrhunderts wie Johnny Moss, Amarillo Slim oder Doyle Brunson, indem sie in bestimmten Situationen so lange Karten austeilten, bis sie Erkenntnisse gewonnen hatten.

Die sogenannten „Vorteilsspieler“ der damaligen Zeit waren bei der Wahl ihrer Mittel zudem nicht unbedingt wählerisch. Der Klassiker „Expert at the Card Table“ etwa erklärt auf etlichen Seiten, wie man beim Mischen betrügt oder dafür sorgt, dass der Gegner eine teure zweitbeste Hand bekommt. Strategische Hinweise sucht man auch darin vergebens.

Die Urquelle des modernen Wissens

Das änderte sich schlagartig, als der damalige Meister seiner Zeit das erste ernstzunehmende Pokerbuch schrieb. Doyle Brunsons Super/System, erstmals erschienen 1979 (also zwei Jahre nach Texas Dollys zweitem Sieg beim WSOP Main Event), ist der Schneisenschlag der modernen Pokerliteratur schlechthin.

Die erste Bibel des Pokerspiels

Die Wirkung dieses Buchs, in dem neben Hold’em auch Stud, Stud Hi/lo, Lowball und Draw Poker behandelt wurden, war so groß, dass Brunson später halb im Scherz, halb im Ernst davon sprach, dass Buch habe ihn weit mehr Geld gekostet, als ihm die Verkaufserlöse eingebracht hätten.

Viel später – im Jahr 2004, also genau nach dem Einsetzen des weltweiten Pokerbooms – wurde eine überarbeitete Neuauflage gedruckt, in der weitere Autoren wie Daniel Negreanu oder Johnny Chan zu Wort kamen.

Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Auflagen ist aber die Zielgruppe. Wandte sich Super/System 1 noch an eine sehr begrenzte Leserschaft, war Super/System 2 auf eine deutlich breitere Klientel ausgerichtet.

Das Fundament der wissenschaftlichen Herangehensweise

David Sklansky

Zwei, die es ebenfalls genauer wissen wollten,  sind Mason Malmuth und David Sklansky. Die beiden Amerikaner gründeten 1987 den Verlag TwoPlusTwo, der sich die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Pokerspiel auf die Fahne schrieb.

Die vielleicht größte Leistung der beiden, die als Spieler nie trotz der drei Bracelets für Sklansky bei Side Events der WSOP zu den ganz Großen zählten, besteht darin, dass sie Poker auf eine Stufe mit anderen Strategiespielen wie Schach oder Backgammon stellten.

Herausragendes Erzeugnis der Bücherproduktion von TwoPlusTwo ist natürlich „Harrington on Hold’em“ – ein Werk des zweifachen Main-Event-Gewinners, das es sogar ins Regal blutiger Amateure geschafft hat.

Unerschöpfliche Wissensquelle

Ihr mathematisch-wissenschaftlicher Ansatz hat das Pokerspiel aber nicht nur in Form von Büchern geprägt. Eine vermutlich noch viel größere Wirkung erzielte das TwoPlusTwo-Forum, das 1997 ans Netz ging und bis heute eine der unerschöpflichsten Informations- und Diskussionsquellen für das Pokerspiel ist.

Der Boom im deutschsprachigen Raum

Genau zehn Jahre später entwickelten zwei kluge Köpfe aus Hamburg die TwoPlusTwo-Forums-Idee einen Schritt weiter und trafen damit perfekt den Nerv der Zeit. Dominik Kofert und Matthias Wahls gründeten PokerStrategy.de und schufen damit das ideale Win-Win-System für die damalige Goldgräberstimmung bei Spielern und Anbietern.

Dominik Kofert auf dem PokerStrategy-Sofa

Einerseits lieferten sie den Online-Anbietern in einem kaum zu bremsenden Boom permanent neue Spieler und gleichzeitig sorgten sie mit einem gut ausgeklügelten Ausbildungssystem dafür, dass ihre Schüler spielstark und damit langlebige Rake-Lieferanten wurden.

Aus der PokerStrategy-Community sind viele erfolgreiche deutsche Spieler der ersten Generation hervorgegangen, wie etwa Sebastian Ruthenberg, der leider bereits verstorbene Johannes Strassmann und viele mehr.

Intellipoker

Das Gegenstück des Online-Marktführers hieß IntelliPoker und verfolgte einen ähnlichen Ansatz, fiel aber eher durch Pannen wie Datenleaks auf und erreichte nicht ansatzweise die Mitgliederzahlen wie PokerStrategy.

Beide Produkte gibt es übrigens noch (wobei IntelliPoker sich nun PokerStarsSchool nennt), doch der Wirkungsgrad hat erheblich nachgelassen.

Poker im Fernsehen

Eine große Bedeutung bei der Vermittlung von Pokerwissen spielen auch die Fernsehsendungen, die zum Thema Poker produziert wurden.

Ein pfiffiger Mann namens Henry Orenstein erfand Ende der 1990er-Jahre die sogenannte Hole-Card-Kamera und machte die Zuschauer zu einer Art gottgleichem Wesen, das mehr als die Spieler wusste.

Der Erfolg von Formaten wie High Stakes Poker, Poker After Dark oder die Übertragungen der WSOP, die längst Legendenstatus besitzen und an der Verbreitung des Pokerwissens erheblichen Anteil haben – schlaue Co-Kommentatoren erklärten jeweils, wo es lang geht –, geht zum großen Teil auf diese Erfindung zurück.

Leon lehrte die Gegner bei German High Roller das Fürchten

Das deutsche Pendant „German High Roller“, das Anfang 2009 erstmals ausgestrahlt wurde, funktionierte nach dem gleichen Muster. Profis wie Ben Kang oder Jan Heitmann kommentierten gemeinsam mit dem pseudo-naiven Michael Körner das Geschehen und brachten so strategisches Wissen unter die Leute.

Eher lernen, wie man es nicht macht, konnte man bei der TV Total Pokernacht mit Stefan Raab, die mit dem Rückzug des Moderators ebenfalls vom Bildschirm verschwand.

Softwares

Mit der Etablierung der Online-Anbieter und der immer stärkeren Verlagerung auf den virtuellen Filz erfuhr das Pokerspiel eine immanente Weiterentwicklung. Recht zügig kamen Hilfsprogramme, Simulationsprogramme, Plattformen mit Spielerstatistiken und viele weitere Features des Computer-Zeitalters auf den Markt, die aus zuvor Ahnungslosen schnell Wissende machten.

Ranges üben mit PokerStove

Ein Odds-Rechner – also ein Programm, mit dem man die mathematische Wahrscheinlichkeit einer Konstellation in Nanosekunden ermitteln und das Abschneiden von Ranges trainieren konnte – gehörte genauso zur Standardausrüstung wie die Analyse-Softwares PokerTracker und Hold’em Manager oder die Statistikseite Sharkscope, die die regelmäßigen Online-Gegner zu gläsernen Zielscheiben machten.

Die Wahrscheinlichkeiten waren im Gegensatz zu den Zeiten der Brunson, Slim und Co. keine böhmischen Dörfer mehr, sondern offene Geheimnisse, die sich selbst in den dunkelsten Hinterzimmern herumsprachen.

Und mit den Softwares war auch die Zeit gekommen, in der sich Spieler durch Fleiß und stundenlanges Ranges-Training mit Programmen wie PokerStove ihre Überlegenheit gegen ihre Online-Konkurrenten erarbeiteten.

Videos und Twitch-Streaming

Etwa fünf Jahre ist es her, dass sich über das Online-Poker ein neuer Zweig in der Vermittlung von Pokerwissen etablierte. Neben Videokanälen von Könnern wie Doug Polk auf bereits traditionellen Plattformen wie YouTube tat sich ein neues Feld auf, das schnell zum letzten Schrei wurde.

Jason Somerville bei der Arbeit

2014 startete Jason „jcarver“ Somerville auf Twitch seinen Run-It-Up-Livestream, ließ sich von Tausenden Spielern über die Schulter schauen und erklärte ausführlich seine Überlegungen.

Neben dem Lerneffekt bot diese Form der Wissensvermittlung, die schnell weitere Stars wie Jaime Staples, Jeff Gross oder Lex Veldhuis hervorbrachte, auch noch Spaß – was wollte man mehr?

Die Twitch-Welle breitete sich rasch aus, hat sich bis heute gehalten und auch einige deutsche Produkte wie No-Limit Gaming hervorgebracht, doch der nächste Trend, der diese kostenlosen Produkte ablöst, steht schon längst in den Startlöchern.

Der letzte Schrei: Coachings von Weltklassespielern

Schon länger auf dem Markt befinden sich Coaching-Produkte wie Upswing Poker von Doug Polk mit Videos und exklusiven Trainingssessions sowie Raise Your Edge vom deutschen Online-Profi Benjamin „bencb789“ Rolle, den man für €500 pro Stunde für ein persönliches Coaching buchen kann.

Fedor Holz gibt bei Pokercode sein Wissen preis

Doch das war offenbar erst der Anfang. Zwar scheiterte Altstar Phil Ivey mit seinem Produkt „IveyPoker“ ziemlich sang- und klanglos, aber dafür ist nun das deutsche Wunderkind Fedor Holz mit Matthias Eibinger dabei, mit Pokercode eine neue Plattform für exklusives Coaching auf dem Markt zu etablieren.

Was sich dahinter genau verbirgt, erfährt man nach der Anmeldung, aber man kann auf jeden Fall sicher sein, dass man sich an jemanden gewandt hat, der weiß, wovon er redet.

— Hier geht es zum großartigen Angebot von Pokercode! —

Das Gleiche gilt für Dominik Nitsche, der es mit seiner App DTO einfach gemacht hat, innerhalb von Solvern vorgefertigte Spielzüge, das GTO-Spiel zu erlernen und zu üben.

Schrieben vor fünfzehn Jahren noch Hobbyspieler Bücher, um ihr Pokerwissen an andere weiterzugeben, sind heute offenbar die Weltklassespieler die letzten, die noch etwas zu sagen haben. Damit schließt sich – in einer anderen technischen Form – der Kreis zum guten alten Doyle Brunson, der als vermutlich bester Spieler der Welt 1979 sein Buch Super/System herausbrachte.

Und das Ende vom Lied?

Innerhalb weniger Jahre hat sich das Pokerwissen rasant ausgebreitet, so dass man heutzutage kaum noch ahnungslose Spieler trifft. Vor allem online ist die Konkurrenz so hart und die Anzahl von Freizeitspielern so gering geworden, dass man als ehrgeiziger Spieler immer neue Wege der Wissensaneignung beschreiten muss, um seinen Konkurrenten möglichst einen Schritt voraus zu sein.

Spieler wie Hermann „Pascha“ Müller, die einfach drauf los zocken, gibt es heute kaum noch!

Bücher wie die legendären „Super/System“ und „Harrington on Hold’em“ oder das sagenumwobene „Let there be range“, das nach wie vor für über €1.300 angeboten wird, haben dabei für weite Teile der Zielgruppe genauso längst ausgedient wie die gute alte Pokerschule á la Pokerstrategy.

Wer es heute wissen will, schaut den Profis über die Schulter oder gönnt sich einen Weltklassespieler, um sich den entscheidenden kleinen Vorteil zu verschaffen. Mehr ist heutzutage auch kaum noch möglich!

Hinterlasse eine Antwort

Please enter your comment!
Please enter your name here