
(Ein Artikel von Christin Maschmann)
Gerade läuft auf der ARD und in der ARD-Mediathek die neue Staffel von ‚Werwölfe – Das Spiel von List und Täuschung‘. Unter den Mitspielern ist auch Sandra Naujoks dabei, eine der bekanntesten deutschen Pokerspierinnen.
Sandra überzeugt in der Show mit ruhiger Beobachtung und riskanten Manövern – ich musste sofort an meine eigene Begegnung mit diesem Spiel denken. Nur fand meine Runde nicht in einer Fernseh-Produktion statt, sondern vor vielen Jahren in einem Apartment in den Panorama Towers in Las Vegas.
Es hatte sich über die Jahre so etabliert, dass viele Pokerspieler aus Las Vegas und auch jene, die zu Besuch waren, sich für ausführliche „Werewolves and Villagers“-Abende trafen und es macht Sinn, dass dieses „soziale Deduktions-Partyspiel“ bei Poker-Spielern beliebt ist, denn man muss seine Gegner lesen können und dabei aufpassen, dass man selbst nichts preisgibt.

Eine Nacht in den Panorama Towers
In meinem Buch StripNit, in dem ich über meine Erlebnisse während meiner ersten sieben Besuche in Las Vegas schreibe (und auch meine ersten sieben Jahre in der Poker-Industrie, wo lustigerweise Sandra Naujoks auch vorkommt), habe ich das Werwölfe-Erlebnis im Kapitel „Werewolves of Panorama“ zusammengefasst.
Es war 2014, mein Highroller-Bekannter Tim James lud mich zum Werwölfe-Abend in die Panaroma Towers ein. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete.
Da ich schon einmal bei Tim in den Panorama Towers zu Besuch gewesen war, kannte ich mich in dem Gebäude ungefähr aus. Ich machte meinen Weg zu seiner Wohnung und klingelte höflich an der Tür, und ein Fremder mit einem Billardqueue öffnete die Tür und winkte mich herein.

Ich sah etwa fünf Personen in der Küche, zwei spielten Billard, und etwa sieben bis zehn saßen noch immer im Kreis auf dem Sofa und den Stühlen und schrien sich gegenseitig an und bezeichneten sich als Lügner… Ich blieb einen Moment stehen und starrte die Szene an. Es war unmöglich zu erkennen, ob sie sich tatsächlich stritten oder ob das zum Spiel gehörte.
WPT-Champion Joe Bartholdi kam auf mich zu:
„Du hast das noch nie gespielt, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Lass mich dir das erklären …“
Also versuchte Joe mir ein paar Minuten lang das Spiel zu erklären, während die Leute am anderen Ende des Raums weiter rumschrien. Mein Gehirn war wie Matsch und ich hatte Angst, mich lächerlich zu machen.
Bei „Werewolves und Villagers“, auch bekannt als „Mafia“, geht es darum, dass der Großteil der Spieler die Rollen von Dorfbewohnern einnehmen, während nur ein paar Werwölfe sind. Nachts „töten“ die Werwölfe einen Dorfbewohner und diese müssen wiederum durch Fragestellungen und Menschenlesen herausfinden, wer die Werwölfe sind und sie zuerst töten. Das Spiel endet, wenn klar ist, ob Werwölfe oder Dorfbewohner übrig sind, in dem sie die anderen eliminiert haben.
Als das laufende Spiel vorbei war, entspannten sich alle, tranken, lachten, diskutierten bestimmte Situationen und Gespräche noch einmal durch, und alle machten mir klar, dass ich nicht einfach nur dasitzen und zuschauen konnte, sondern mich einbringen musste.
Es war meine vorletzte Nacht in Vegas, und wieder einmal befand ich mich in einer Situation, in der ich fast gekniffen und mir eine Ausrede ausgedacht hätte, anstatt die idiotische deutsche Tussi inmitten all dessen zu sein. Die andere Möglichkeit war, zu bleiben, mitzuspielen und eine Geschichte zu erleben, die ich später erzählen konnte…
Als sich alle für die nächste Runde bereit machten, flog plötzlich die Wohnungstür auf und Scott Seiver, Dylan Wilkerson und ein dritter Mann stürmten herein, wobei Scott „WHO’S THE WEREWOLF?“ rief.
Ein wenig starstruck setzte ich mich unbeholfen in den Kreis, hielt mich an meiner Bierflasche fest und beschäftigte mich damit, nervös das Etikett abzupulen. Tim brachte Scott zu mir und stellte uns einander vor.
Ich murmelte: „Hi Scott, wir haben uns vor ein paar Jahren bei der EPT in Berlin schon einmal getroffen. Shaun Deeb hat uns vorgestellt.“
„Ja, ich weiß. Du bist Christin Mas… Mashman, richtig?“
„Du kennst meinen Namen?“
„Wir sind Freunde auf Facebook oder so“, sagte Scott mit einem Grinsen.

Ich war verblüfft und für den Rest des Abends völlig aus der Fassung gebracht. Ich wusste, dass ich in der deutschen Pokerszene und bei einigen anderen europäischen Circuit-Spielern bekannt war, aber ich hätte nie gedacht, dass einer der besten Pokerspieler der Welt meinen Namen kannte. Unglaublich!
Das Spiel begann damit, dass der Spielleiter die Regeln erklärte und dann jedem eine Karte austeilte, auf der jeder Spieler sehen konnte, ob er ein Werwolf oder ein Dorfbewohner war und, falls er ein Dorfbewohner war, ob er über besondere Kräfte verfügte. Ich zog die Karte „Aura-Seher”, ein Dorfbewohner, dessen besondere Kraft darin bestand, zu sehen, welche anderen Spieler über besondere Kräfte verfügten. Ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Kraft am besten einsetzen sollte.
Jemand anderes wusste es jedoch: Scott! Ich wurde Zeuge seiner erstaunlichen Denkleistung. Nur 3–5 Minuten, nachdem alle Rollen und besonderen Fähigkeiten erklärt worden waren und jeder seine Karten gezogen hatte, verkündete Scott die vollständige Lösung für das Spiel. In nur wenigen Minuten hatte er Dutzende von Möglichkeiten durchdacht und den Spielern gesagt, wer was fragen sollte, damit wir herausfinden konnten, wer die Werwölfe waren, und uns alle wieder aufs Trinken fokussieren konnten.
Seine Lösung bedeutete jedoch, dass ich offenbaren musste, dass ich ein Aura-Seher war. Zum einen hatte ich keine Ahnung, ob man das Spiel so spielte, da es sich wie eine Abkürzung anfühlte, und zum anderen wollte ich keine schnelle Lösung. Jetzt, wo ich dabei war, wollte ich das Spiel ohne die Lösung des Mega-Genies Seiver spielen. Also schwieg ich, ebenso wie der andere Seher im Spiel.
Scott wusste wahrscheinlich, dass er eh einer der ersten Dorfbewohner sein würde, die getötet werden, da er einfach zu gut ist – und genau das passierte auch. So musste er erstmal alleine trinken, bis sich mehr Dorfbewohner zu ihm gesellten.
„Das Mädchen mit der Brille!“, rief Pokerprofi Dylan Wilkerson und zeigte mit dem Finger auf mich.
„Sie hat kein Wort gesagt! Sie ist verdächtig still. Ich bin mir sicher, dass sie ein Werwolf ist!“
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf und sah eine Gruppe von etwa 17 Leuten um mich herum, die alle ihre Köpfe in meine Richtung drehten.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht viel sagt, weil sie dieses Spiel zum ersten Mal spielt“, sagte Tim; einige der anderen nickten zustimmend. Das war die Wahrheit. Ich hatte noch nie „Werwölfe“ gespielt, und ich war von der ganzen Situation furchtbar eingeschüchtert.
Der Raum war voller Pokerprofis und ich hasste es, so in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Alle im Raum fingen an zu murmeln und zu diskutieren. Einige schützten mich vor Anschuldigungen, andere waren sich sicher, dass ich ein stiller, heimlicher Werwolf war. Ich sah mich nur um, hörte zu und wusste nicht, was ich sonst tun sollte, außer so unschuldig wie möglich zu wirken.
Dann wurde ich offiziell nominiert und ich hatte ein paar Sekunden Zeit, mich vor der ganzen Gruppe zu verteidigen. Es machte die Sache einfacher, dass ich nicht lügen musste, während all diese Pokerprofis versuchten, meine Seele zu lesen.
„Glaubt mir, Leute, ich bin ein Dorfbewohner. Und ich bin froh, da ich dieses Spiel zum ersten Mal spiele, denn so ist es für mich wirklich einfach. Natürlich sage ich nicht viel, weil ich noch beobachte, wie das alles funktioniert…“
Es folgte ein Moment der Stille, in dem mich alle nur anstarrten und ihre Blicke mich durchdrangen. Der Gastgeber, mein Freund Tim, Dylan (mein Hauptankläger), die Pokerlegende Scott Seiver, WPT-Champion Joe Bartholdi und seine Freundin sowie etwa 10 weitere Personen. Wahrscheinlich bin ich rot geworden, aber es war dunkel genug im Raum, dass das vielleicht nicht aufgefallen ist. Der Spielleiter verkündete das Ergebnis der Abstimmung, und ich war froh, dass ich diesmal nicht zum Werwolf gewählt worden war und eine weitere Nacht überleben durfte.
Ich möchte euch nicht mit zu vielen Details langweilen, aber am Ende war ich tatsächlich einer der Spieler, die das Spiel lösen konnten. Und obwohl ich das Spiel definitiv nicht richtig gespielt hatte, war ich ziemlich stolz darauf, wie ich es zu Ende gebracht hatte.
Ein Spieler hatte die ganze Zeit gelogen, und ich konnte einfach nicht glauben, dass keiner der großen Pokerhelden das bemerkt hatte. Es war so offensichtlich, dass er ein Werwolf war. Jedes Mal, wenn es darum ging, gegen ihn zu stimmen, hob ich meine Hand, aber es kam nie dazu, dass er eliminiert wurde.
Irgendwann waren nur noch vier Spieler übrig, die meisten anderen waren während der Nächte entweder von Werwölfen oder Dorfbewohnern getötet worden und hatten sich bereits in die Küche zurückgezogen, wo sie tranken, Billard spielten und plauderten. Einige verfolgten jedoch das Finale des Spiels, darunter auch ein weiterer berühmter Pokerprofi, Sorel Mizzi, der spät angekommen war.
Die vier verbleibenden Spieler waren der Typ, von dem ich überzeugt war, dass er ein Werwolf war, ich und zwei Spieler, von denen ich wusste, dass sie besondere Kräfte hatten, also mussten sie Dorfbewohner sein. Am Ende wurde ich erneut beschuldigt, ein Werwolf zu sein, aber das war der entscheidende Moment für mich.
„Okay, jetzt kommt’s. Ich bin ein Aura-Seher“, erklärte ich. „Ich weiß, dass ihr beide besondere Kräfte habt, also muss dieser Typ der Werwolf sein!“
Wir stimmten alle gegen ihn, er war der Werwolf, die Dorfbewohner hatten gewonnen! High Five!

Warum Pokerprofis Werwölfe lieben
Seit dieser Nacht verstehe ich, warum Pokerprofis dieses Spiel so lieben. Werwölfe ist ein soziales Labor – man beobachtet, täuscht, interpretiert Mikroreaktionen. Es ist kein Zufall, dass viele Pokerspieler nach einem langen Turniertag lieber Werwölfe als eine Runde Cashgame spielen. Das Bluffen hört nie auf.
Manchmal sind die besten Pokerhände die, bei denen gar keine Karten ausgeteilt werden.







